Eos-Preis für philosophische Essayistik


Von 2019 bis 2022 veranstaltete die Thumm-Stiftung jährlich einen Essaywettbewerb in Zusammenarbeit mit der Philosophiezeitschrift Narthex, in der die Gewinneressays veröffentlicht wurden. Zudem wurden die Essays mit 500 € (1. Platz), 300 € (2. Platz) und 200 € prämiert.

 

Den Preis erhielten:

 

 

Tina Kniep

Anton Röhr 
Lea Mara Eßer
Rafael Rehm

Michael Meyer

Linda Lilith Obermayr 

Tom Kobrow

Robin Forstenhäusler

Laurids Heltschl

Askan Schmidt

Bengt Früchtenicht

Viet Anh Nguyen Duc

Bastian Klug

Dirk Stemper

 

Preisfragen und Gewinner des Eos-Preises für philosophische Essayistik


 

Die Preisfrage des Eos-Preises für philosophische Essayistik 2019

 

„Gibt es personale Authentizität – und wenn ja, ist sie erstrebenswert?“

 

 

„Das Große ist nicht dies oder das zu sein, sondern man selbst zu sein.“

 

(Søren Kierkegaard)

 

 

„Werde, der du bist!“

 

(Friedrich Nietzsche)

 

 

„Alles wirklich Wertvolle kommt nicht aus dem Ehrgeiz oder aus dem Pflichtgefühl, sondern aus der Liebe und Devotion gegenüber Menschen und objektiven Dingen.“

 

(Albert Einstein)

 

 

„Man wundert sich, dass nicht massenhaft Menschen in dieser Zwickmühle durchdrehen: Einerseits heißt es, man solle sich selbst immerzu inszenieren und permanent neu erfinden, andererseits wird verlangt, man müsse dabei unbedingt und stets man selbst, also ‚authentisch‘ bleiben! So wird die Jagd nach einem echten Ich zur regelrechten Obsession.“

 

(Christian Saehrendt)

 

„Authentizität“ ist ein ebenso komplexer wie auch facettenreicher Begriff. Man spricht von authentischen Kunstwerken, von authentischen Gefühlen, von authentischen Zeugenaussagen, authentischem Essen, authentischen Schlüsseln oder authentischen Urlaubsorten. Bei all diesen Formen von Authentizität stellt sich die Frage, wie sie sich genau definieren und beurteilen lässt. Was unterscheidet etwa ein „authentisches“ italienisches Eis von einem „unauthentischen“? Sind Kunstwerke nicht deshalb gut, weil sie gut sind, unabhängig davon, ob sie in irgendeinem Sinne „echt“ sind? Und wie kann ich mir jemals sicher sein, ob das Gefühl, dass ich gerade empfinde, wirklich „von mir“ stammt, oder auf meine kulturelle Prägung oder andere äußerliche Faktoren zurückzuführen ist?

 

Besonders umstritten ist jedoch die Vorstellung einer personalen Authentizität. In unserer Gesellschaft wird es oft verlangt, dass wir uns als „authentische Personen“ beweisen – sei es im Vorstellungsgespräch, beim ersten Date oder eben im Kunstbetrieb. „Authentizität“ ist dabei zu einem von vielen Bildern besetzten Konzept geworden, das längst die Plakate von Zigarettenfirmen, Brauereien und Modelabels ziert. Oft wird Authentizität mit Natürlichkeit assoziiert – aber ist man noch authentisch, wenn man nur einem solchen Stereotyp von Authentizität folgt? Und wie ginge es anders? Wer bin ich, was kann ich, was will ich? Wie kann ich darauf jemals eine abschließende Antwort finden?

 

Gibt es überhaupt so etwas wie eine einheitliche Person, die authentisch sein könnte oder nicht? Oder ist jede Person notwendig nichts weiter eine Assemblage von Masken, hinter denen sich überhaupt kein „wahres Gesicht“ verbirgt? Ist das Ideal der Authentizität mithin eine reine Fiktion, der noch dazu eine die Menschen kontrollierende und disziplinierende Funktion zukommt?

 

Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass das Ideal personaler Authentizität ursprünglich als kritisches Gegenbild zu einer als verlogen und repressiv wahrgenommenen Lebenswelt ersonnen worden ist, in der sich die Menschen nicht nur wechselseitig, sondern auch selbst über ihre wahren Absichten und Bedürfnisse belogen hätten. Besitzt diese Art der Kulturkritik nicht nach wie vor eine große Aktualität – oder sind wir vielleicht sogar zu authentisch und sollten wieder lernen, nicht allzu sehr in unseren eigenen Abgründen zu bohren? …

 

Die Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie (HARP) und die Thumm-Stiftung schreiben in diesem Jahr zum ersten Mal den Eos-Preis für philosophische Essayistik aus. Prämiert werden sollen Beiträge, die sich mit der Frage auseinandersetzen, ob es so etwas wie personale Authentizität überhaupt gibt und ob sie, wenn dem so ist, als Ideal erstrebenswert ist. Sie sollten im Ansatz sowohl originell als auch schlüssig argumentiert sein und sich nicht ausschließlich an ein akademisches Publikum richten.

 

Die Gewinner des erstmalig 2019 vergebenen Eos-Preises für philosophische Essayistik und die Titel ihrer Essays lauten:

 

1.) Tina Kniep & Anton Röhr

 

„Scheiß auf Authentizität, ich will einfach nur ich selbst sein!“ Versuch der Rehabilitation eines gebeutelten Begriffs

 

2.) Lea Mara Eßer

 

Ich als die ängstigende Möglichkeit zu können

 

3.) Rafael Rehm

 

Personale Authentizität als diskontinuierlicher Wahrnehmungs-Schrecken. Der Bildbegriff des französischen Surrealismus in Bezug auf personale Authentizität

 

Die Essays finden sich abgedruckt in der 5. Ausgabe der Philosophiezeitschrift Narthex – Heft für radikales Denken.

 


 

Die Preisfrage des Eos-Preises für philosophische Essayistik 2020

 

„Was bedeutet 1989 für das Denken von Geschichte?“

 

„Was wir beobachten, ist vielleicht nicht nur das Ende des Kalten Krieges oder wie eine bestimmte Periode der Nachkriegsgeschichte vergeht, sondern das Ende der Geschichte selbst: das heißt den Endpunkt der ideellen Entwicklung der Menschheit und die Universalisierung der liberalen, westlichen Demokratie als finales Stadium menschlicher Regierungsformen.“

 

(Francis Fukuyama im Sommer 1989)

 

 

„Nicht der Sozialismus stirbt, sondern der ‚rohe Kommunismus‘. Man hat den Eindruck einer Metamorphose. Eine Haut wird abgestoßen, die schon tot ist. Und dies hängt natürlich mit der Entwicklung der Zyklen der Weltwirtschaft zusammen. …“

 

(Peter Ruben im November 1989)

 

 

„So wie in der institutionellen Aktualisierung Westeuropas im Jahr 1968 ein ‚Wind des Wahnsinns‘ zu spüren gewesen ist, so war auch 1989 ein Wind des Wahnsinns [...] spürbar. Das klarste Zeichen dafür waren der radikale Anklang für die am wenigsten plausible aller prosystemischen Ideologien - namentlich die monetaristische Ideologie gnadenloser ‚Ökonomisierung‘ als Weg zu westlichem Wohlstand und westlicher Macht.“

 

(Arrighi/Hopkins/Wallerstein 1992)

 

 

„Das starke Gefühl vom November 1989, jene unmittelbare Gewissheit, noch einmal geschehende Geschichte zu erleben, war dadurch mitbedingt, dass die Öffnung der Mauer eine so unvorhergesehene wie dramaturgisch unentbehrliche Abschlussfigur der revolutionsgeschichtlichen Sequenz darstellte, die seinerzeit im Pariser Juli begonnen hatte, um nun, zufällig und zwingend, in einem Berliner Spätherbst zu enden.“

 

(Peter Sloterdijk 2019)

 

 

„Eine wirkliche Erneuerung der Linken in Gesamtdeutschland kann nur erfolgreich sein, wenn sie nicht nur, wie die Westlinke, das Erbe von 1968 antritt, sondern auch das Erbe des einzigen sozialistischen Staates auf deutschem Boden sowie der letzten sozialistischen Revolution auf deutschem Boden.“

 

(ein Leipziger Pamphletist 2019)

 

Mit unserer diesjährigen Preisfrage zielen wir auf verschiedene geschichtsphilosophische Dimensionen der Ereignisse um 1989 zwischen utopischer Hoffnung auf eine Weiterentwicklung des Sozialismus und der Perspektive einer kapitalistischen Restauration ab. Wie steht es um die These vom „Ende der Geschichte“? Kann es eine Geschichtsphilosophie nach 1989 geben und inwiefern ist es dafür unabdingbar, den Moment 1989 gleichsam als Prisma für die Geschichte der DDR in globalem Kontext zu reflektieren? Lässt die denkerische Durchdringung von 1989 neue Rückschlüsse auf das Problem der Aufhebung der Philosophie als ihrer Realisierung zu? Stellt die DDR einen Bruch oder eine Kontinuität in der Geschichte in der Tradition der Aufklärung dar, die als Sackgasse verworfen werden muss oder an die angeknüpft werden kann? Oder stellt sie nur eine „Fußnote in der Weltgeschichte“ (Hans-Ulrich Wehler in Anknüpfung an Stefan Heym) dar, die man getrost ignorieren kann? Welche Linien schließlich wirft der Moment 1989 auch heute noch gerade in seinen unrealisierten Potentialen in Gegenwart und Zukunft?

 

Die Thumm-Stiftung und die Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie (HARP) vergeben gemeinsam den Eos-Preis für philosophische Essayistik für Beiträge, die sich mit der genannten Preisfrage auseinandersetzen. Diese sollten im Ansatz sowohl originell als auch schlüssig argumentiert sein und sich nicht ausschließlich an ein akademisches Publikum richten.

Die Gewinner des Eos-Preises für philosophische Essayistik und die Titel ihrer Essays 2020 lauten:

 

1) Michael Meyer: Vorübergehen. 1989 als eine Fortsetzung des Endens der Geschichte

 

2) Linda Lilith Obermayr: Das Schmettern des gallischen Hahns oder Kritik des Geschichtsdeterminismus

 

3) Tom Kobrow: Markiert der Mauerfall von 1989 das Ende der Geschichte?

 

Die Essays können wie immer in der entsprechenden Ausgabe der Narthex aufgefunden werden.

 

 


 

 Die Preisfrage des Eos-Preises für philosophische Essayistik 2021

 

„Geht die Welt unter?“

 

„Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du nicht und rächst nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?“

 

(Off. 6, 10)

 

 

„Die Geschichte enthüllt ihr Wesen nur als Eschatologie. Im Einst der Schöpfung hat die Geschichte ihren Anfang und sie kommt im Einst der Erlösung zu ihrem Ende.“

 

(Jacob Taubes)

 

 

„Es ist einfacher sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus.“

 

(Frederic Jameson)

 

 

„Neuer Himmel, neue Erde, die Logik der Apokalypse setzen die dialektische Umfunktionierung des sonst satanisch gewerteten Vernichtungsfeuers voraus; jeder Advent enthält den Nihilismus als verwendet-besiegten, den Tod als verschlungen in den Sieg. Die Vereitlung und Vernichtung ist zwar die ständige Gefahr jedes Prozeß-Experiments, der ständige Sarg neben jeder Hoffnung, sie ist aber auch das Mittel, welches inadäquate Statik bricht.“

 

(Ernst Bloch)

 

Eschatologie und Apokalyptik sind zwei Grundmotive, die das abendländische Denken durchziehen. Wie ein Wind fegt die Geschichte durch die Welt und wirbelt Katastrophen und Umwälzungen auf, um am Ende womöglich an ein Ziel zu gelangen. „Denn alles, was entsteht“, schreibt Goethe im Faust, „ist wert, dass es zugrunde geht“. – Und dieses Ende der Welt ist wie das Leben selbst mit ambivalenten Gefühlen gespickt, denn der Mensch lebt im Allgemeinen zwar gerne, wenn nur die vielen Ärgernisse und die ganze Anstrengung nicht sein müsste. Das Christentum kennt diese Ambivalenz ebenso, es verpackt die Apokalypse als Teil der Frohen Botschaft und auch etymologisch betrachtet bedeutet Apokalypse eigentlich Offenbarung und verknüpft das Weltende durch Feuer und Vernichtung mit der Hoffnung darauf, dass sich am Ende endlich alles aufklären wird.

 

Für das Ende der Welt sind in der Vergangenheit viele Daten ermittelt worden. Im Jahr 1000, im Jahr 1666, im Jahr 2000, zuletzt im Jahr 2012 sollte das Ende kommen. Fromme Seelen haben sich darauf vorbereitet, aber die Welt besteht trotzdem fort. Mit der Klimakatastrophe, der anhaltenden nuklearen Bedrohung und drohenden Großkonflikten scheint die säkulare Version der Apokalypse so nah wie nie – hinzu kommt die gefühlte Bedrohung durch Covid-19. Im Jahr 2021 stellen die Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie in Zusammenarbeit mit der Thumm-Stiftung die Preisfrage: „Geht die Welt unter?“

 

Die Gewinner des Eos-Preises für philosophische Essayistik und die Titel ihrer Essays 2021 lauten:

 

1) Robin Forstenhäusler, Laurids Heltschl & Askan Schmidt: Vorläufiges zum Ende. Gestalten apokalyptischen Bewusstseins

 

2) Bengt Früchtenicht: Welt und Staub

 

3) Viet Anh Nguyen Duc: Der freie Geist, sein Untergang und die Utopie

 

Die Essays können wie immer in der entsprechenden Ausgabe der Narthex aufgefunden werden.

 


 

 Die Preisfrage des Eos-Preises für philosophische Essayistik 2022

 

„Was müssen wir hoffen?“

 

Die Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie und die Thumm-Stiftung rufen die Welt zur Hoffnung auf. In Zeiten, in denen ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, sind Utopie und Imagination Einsicht in die Notwendigkeit.

 

Ernst Bloch, der letzte Metaphysiker und stets standhafte Verteidiger des Sozialismus, forderte von den Menschen die Kultivierung einer objektiven Phantasie – einen gelehrten und belehrten Willen, der mit seinen Wünschen die Wand der Tatsachen durchbricht und das Neue in der Welt gestaltet. In diesem Sinn fragen wir von Halkyonischen Assoziation für radikale Philosophie in Zusammenarbeit mit der Thumm-Stiftung: Wo sind heute die „Front“ und das „Novum“? Was ist real möglich und objektiv fällig? Welche Tendenzen gibt es und welche latenten Träume einer Welt für uns liegen jenseits der Öden des Nihilismus? Da der Mensch noch nicht weiß, was er ist, bleibt er zur Hoffnung verdammt. Gegen die kantischen Modalitäten des bürgerlichen Idealismus lautet unsere Preisfrage: Was müssen wir hoffen?

 

Die Gewinner des Eos-Preises für philosophische Essayistik und die Titel ihrer Essays 2021 lauten:

 

1) Bastian Klug: Hoffnung als Gebot. Über die Rolle der Hoffnung im Konzentrationslager

 

2) Dirk Stemper: Die Elpistiker-Manifeste

 

3) Viet Anh Nguyen Duc: Die Hoffnung stirbt als letzte

 

Die Essays sind in der 8. Nummer der Narthex abgedruckt.